Bikepacking-Rennen

Schlafen und Schlaf-entzug

Sandra mit Mütze über den Augen zum Schlafen
Foto: Sandra Schuberth
Bett in Cabin
Foto: Sandra Schuberth

An der Grenze der Belastbarkeit: Schlaf und Schlafentzug im harten Alltag von Bikepacking-Rennen. Die ungeschönte Realität. Ein Blick hinter die Kulissen.

Sandra beim Seven Serpents 2022 auf der Suche nach einem Hotel
Foto: Marco Samiolo

Bei Bikepacking Events und Rennen startet die Uhr am Start und sie endet erst wieder, wenn man das Ziel erreicht. In jeder Minute, die man nicht pausiert, kommt man dem Ziel ein kleines Stückchen näher. Oft ist also das Ziel, die Pausenzeiten so niedrig wie möglich zu halten. Das geht durch effektive Stopps an Tankstellen und Supermärkten und Essen auf dem Rad und natürlich durch eine kurze Schlafdauer. Und das wiederum bedeutet Schlafentzug. Das ist ungesund und kann neben langzeitfolgen auch akut gefährlich sein.

Auswirkungen von Schlafentzug

  • 17 Stunden ohne Schlaf beeinträchtigen das Reaktionsvermögen wie 0,5 Promille Alkohol im Blut, 22 Stunden ohne Schlaf wirken schon wie 1,0 Promille Alkohol im Blut (Quelle: Deutscher Verkehrssicherheitsrat)
  • Reaktionsfähigkeit lässt nach
  • Sekundenschlaf droht
  • Halluzinationen

Mein Schlaf im Alltag

Schlafen ist gut. Im Alltag schlafe ich gefühlt mehr als andere. Oder jedenfalls bräuchte ich mehr Schlaf, das klappt natürlich nicht immer.

Schlafen bei Bikepacking-Events und Bikepacking-Rennen

Bei drei Bikepacking-Rennen konnte ich verschiedene Erfahrungen in Sachen Schlaf sammeln. Von defensiv beim ersten zu all in beim zweiten und der Kampf gegen Müdigkeit beim dritten – trotz extrem langer Tage.

1. Seven Serpents 2022 - Mein erstes Bikepacking-Rennen

In meinem ersten Bikepacking-Rennen, dem Debüt vom Seven Serpents habe ich weniger geschlafen als ich für möglich gehalten habe. Ich dachte, zwei Dinge würden mich zum Schlafen zwingen.

  • Ich kann nicht so lange auf dem Rad sitzen
  • Der Akku meiner Lampe hält nicht so lange
  • Beide Gedanken stellten sich als falsch heraus. Ich hatte eine neue Hose, mit der ich zum ersten Mal nicht nach einem halben Tag auf dem Rad dachte: wann kann ich sie endlich ausziehen? Und der Lampenakku hat sich weniger stark entladen als ich gedacht hätte.

    In der ersten Nacht fuhr ich etwa bis 2 Uhr nachts, das entsprach etwa Kilometer 280. Am Abend hatte ich mir eine kleine Flasche Cola gekauft, daraus trank ich regelmäßig einen Schluck. Etwas Zucker und Koffein. In einer längeren Abfahrt nach Mitternacht war mir kalt, und ich war müde. Die Kälte machte mich müde – oder andersherum – die Müdigkeit ließ mich frieren. Beinlinge oder eine lange Hose zum Drüberziehen wären gut gewesen.

    Schlaf bis 5:30, glaube ich. Dann ging’s weiter.

    Am Tag fühlte ich mich fit, ständig beflügelt davon, dass Sitzen kein Problem war. Abends war ich schon müde und ich wünschte mir eine Dusche. Als ich auf den Checkpoint in Krk zufuhr, blitzte es ununterbrochen am Horizont. Ist das Gewitter da, wo ich hin muss? Ich wollte nicht in ein Gewitter kommen. Also freundete ich mich mit dem Gedanken an, ein Hotelzimmer zu nehmen, auch wenn es noch weit vor Mitternacht war.

    In Krk checkte ich die Lage. Ich könnte auch noch die letzte Fähre des Tages nehmen. Aber auf der anderen Seite war kein Hotel. Und bis ich da wäre, wäre es auch schon spät. Ich brauchte ewig, um eine Entscheidung zu treffen. Ich entschied mich, zu einem Hotel in Krk zu fahren, zu klingeln und zu schauen, ob sie ein Zimmer für mich hätten. Hatten sie. Duschen, Bib auswaschen, essen, Zähneputzen, Schlafen – 5 oder 6 Stunden, denn die erste Fähre des nächsten Tages bestimmte den Zeitplan.

    Natürlich hatten mich nachts noch einige Leute überholt. Aber ich fuhr am nächsten Morgen ebenfalls an einigen Leuten vorbei, die noch in ihrem Nachtlager schlummerten. Irgendwann schaute ich aufs Livetracking, ich war unter den ersten 10 der Gesamtwertung. Wow, wie cool wäre es, das zu halten? Der Plan war geschmiedet, eigentlich war er sogar schon im Hotel am Abend zuvor fertig: Ich würde versuchen, die letzte Nacht durchzufahren.

    Gesagt, getan. Gut, so einfach war das dann auch wieder nicht. Klar war ich müde aber das Terrain hielt mich wach. Anspruchsvolle Gravelwege forderten volle Konzentration, keine Zeit, der Müdigkeit Raum zu lassen. Das spielte mir in die Karten. Denn sobald Monotonie einkehrte, zog es die Augen zu. Mein Versprechen an mich selbst war: Du fährst, solange es geht. Wenn du merkst, die Konzentration ist nicht mehr da oder wenn du merkst, die Augen wollen nicht mehr aufbleiben, dann legst du dich hin. Kein Sekundenschlaf! Regelmäßig habe ich also in mich rein gehört: wie fühle ich mich? Nehme ich relevante Dinge wahr? Fällt es mir leicht, die Augen offen zu halten? Ja, ja, ja.

    Dann wurde es wieder hell und mit jeder Minute, kam ich dem Ziel näher. Okay, Gegenwind und steile Anstiege forderten mich sehr. Aber dann hatte ich es geschafft. Ich war selbst perplex. Das kann ich? Kaum zu glauben …

    • Erste Nacht: 3 oder 4 Stunden nicht so guter Schlaf
    • Zweite Nacht: 5 oder 6 Stunden erholsamer Schlaf im Hotel
    • Dritte Nacht: kein Schlaf
     

    Im nächsten Jahr bei einer kürzeren Version vom Seven Serpents, konnte ich mich erneut überraschen.

    2. Seven Serpents Quick Bite

    540 Kilometer, 9000 Höhenmeter, Easy Rolling Gravel. So hieß es. Aber wer Bruno, den Veranstalter, kennt, weiß, Easy Rolling kann auch Schieben heißen. Mein Plan: so lange wie möglich fahren und hinlegen, wenn es nicht mehr geht. Mit dem gleichen Versprechen an mich selbst wie im Jahr zuvor. Riskiere keinen Sekundenschlaf.

    Am Supermarkt der erste Fehler. Ich wollte zur Tankstelle, aber sah Leute am Supermarkt sitzen. Perfekt, dann dahin. Schnell rein, der hatte maximal noch drei Minuten auf. Ich habe nicht gefunden, was ich wollte. Vor allem keine Cola in einer Flasche. Naja, dann halt nicht. Dann halt ohne Koffein in die Nacht.

    Ich bin durch die Nacht gekommen. Erst am nächsten Morgen auf der ersten Insel überkam mich die Müdigkeit. An der Küste sah ich eine einladende Betonplatte und legte mich drauf und stellte den Wecker auf in 15 Minuten. Es war zu kalt von unten auf dem nackten Beton, um zu schlafen. Also stand ich nach 10 Minuten mit geschlossenen Augen wieder auf und machte mir Musik an. Augen schließen und Musik haben viel gebracht. Auf der nächsten Insel ging es eine asphaltierte Straße leicht bergauf, in der prallen Sonne. Monotonie, das bedeutete Müdigkeit. Die Augen wurden schwer. Schließlich legte ich mich in den Schatten eines Straßenschildes. Kein Wecker, was passiert, passiert. Nach drei Minuten zuckte der Körper, wie man es vom Einschlafen kennt.  Ich war wieder wach und fuhr weiter. Krass, was so kurze Pausen bewirken.

    Auch auf den Fahren und beim Warten auf diese hatte ich mich immer kurz hingelegt und die Augen geschlossen. Schlaf war keiner drin.

    Ich dachte, ich wäre vielleicht zwei Uhr nachts am Ziel, wenn ich in die zweite Nacht fahren würde. Das klang gut in meinem Kopf. Also weiter. Aber da es ein Track von Bruno war, kam natürlich noch einiges. Und der Schlafentzug machte sich bemerkbar. Büsche und Bäume wurden zu Drachen und Figuren, die am Wegesrand standen.

    Aus zwei wurde fünf. 2 Nächte ohne Schlaf, kaum zu glauben.

    3. Bright Midnight 2023

    Beim Bright Midnight wollte ich vor dem angekündigten Regen so viele Kilometer wie möglich hinter mich bringen. Also durch die erste Nacht fahren. Ich war aber schon nachmittags müde. Geht vorbei, dachte ich. Ging es auch, kam aber schnell wieder. Die Nacht war toll, tolle Landschaften und bester Gravel. Aber die Augen wurden immer schwerer. Wie bin ich nur beim Seven Serpents Quick Bite 2 Nächte durchgefahren? Gegen 4 Uhr die Erlösung: ein Campingplatz. Das Toileztenhäuschen war meine Wahl. Ich legte mich auf den Boden und dechte mich mit meiner Regenjacke zu – keine Lust, Schlafsack und Isomatte aus- und vor allem wieder einzupacken.

    Das hält wach bei einer Radfahrt durch die Nacht

    • Musik
    • Anspruchsvolle Route
    • Zucker und Koffein

    Koffein

    Ich komme auch mal ohne oder mit wenig Schlaf aus, in Bikepacking Rennen zum Beispiel. Eine Cola, die ich nachts Schluck für Schluck trinke, kann mich durch eine Nacht bringen. Kaffee trinke ich nicht während eines Rennens, das schlägt mir zu sehr auf den Bauch. 

    Beim Bright Midnight habe ich unabsichtlich ausprobiert, wie es ohne Koffein geht – ohne die nächtliche Cola. Hab einfach keine gekauft. Ich war schon sehr sehr müde und konnte keine Nacht komplett durchfahren.

    So gelingt es mir, einzuschlafen

    • Rituale – ich höre Hörspiele zum Einschlafen (Die drei ???) – ich lade mir vorher 2 Folgen bei Spotify runter
    • Verdeckte Augen – etwa mit einer Mütze
    Sandra mit Mütze über den Augen zum Schlafen

    Der Schlafentzug bei Bikepacking-Rennen lässt mich immer wieder im Zwiespalt zurück. Auf der einen Seite finde ich es spannend, diese neuen Erfahrungen zu sammeln und die Grenzen auszutesten, den Körper auszuprobieren und ihn zu fordern. Auf der anderen Seite sehe ich die Gefahr: schätze ich mich richtig ein? Was, wenn meine Reaktionsfähigkeit doch zu eingeschränkt ist? Was, wenn ich doch einschlafe?

    Bisher ist alles gut gegangen und bisher habe ich das Gefühl, dass ich kein (allzu großes) Risiko mit dem Schlafentzug eingegangen bin. Toitoitoi, dass es so bleibt.

    Text: Sandra Schuberth

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